Löschen oder speichern, das ist hier die Frage! Digitale Bildarchive richtig verwalten und pflegen
„Löschen? Bloß nicht!“ Diese Einstellung ist weit verbreitet unter denjenigen, die in Unternehmen für die Verwaltung der Bildbestände zuständig sind. Das sind meistens die Bildkommunikatoren selbst – die Presseabteilung, das Marketing oder die Unternehmenskommunikation. Deren Woche sieht zum Beispiel so aus: Sie erhaltenMontag rund 600 Aufnahmen von den neuen Produktionsanlagen, Dienstag kommen die 432 Fotos aller Teilnehmer des Betriebsausflugs, Mittwoch steht ein Kollege mit 124 Bildern von der Fachmesse vor der Tür, Donnerstag schickt der Fotograf endlich die 372 Porträts vom Shooting der Vorstände und Freitag sind 56 Handy-Fotos vom Rohrbruch unter dem Betriebsparkplatz im Mail-Eingang. Frei nach der Devise „Alles kann ja irgendwann und irgendwie mal wichtig sein“ wird nicht nur fotografiert und dokumentiert, sondern auch elektronisch gespeichert. Aber wer sich diesem Motto beugt, verbrennt im Grunde bares Geld und kostbare Zeit.
Archivare sind Profis in der Bildverwaltung. Wir zeigen Ihnen, wie sich archivarische Methoden auf die Welt der Unternehmenskommunikation runterbrechen lassen. So werden Sie in wenigen Schritten zum Bildarchiv-Profi.
Von Archivaren lernen, heißt löschen lernen.
Christian Römmer hütet die Archivbestände des Kultur- & Geschichtskontors Bergedorf. Seit über 35 Jahren sammelt die Geschichtswerkstatt Dokumente und Fotografien aus dem Hamburger Bezirk. MAGmove unterhielt sich mit Christan Römmer über die archivarischen Routinen im Geschichtskontor.
MAGmove: Herr Römmer, wenn ich auf dem Dachboden alte Familienfotos finde, die ich nicht mehr brauche, dann kann ich die bei Ihnen abgeben?
Christian Römmer: Uns interessieren alle Fotos und Dokumente, die Aufschluss über die Regionalgeschichte von Hamburg-Bergedorf und Umgebung geben. Wenn die fragliche Familie hier also irgendeine Rolle spielte – politisch oder gesellschaftlich – sind Sie herzlich willkommen. Reine Familienfotos von Opas 80. Geburtstag sind eher uninteressant für uns.
MAGmove: Wie verfahren Sie denn mit Bildbeständen, die Ihnen angeboten werden?
Christian Römmer: Sofern es unserem Sammlungsprofil entspricht, nehme ich erstmal alles. Dann können wir in Ruhe sichten und entscheiden, wie wir mit dem Bestand umgehen. Teilweise stecken ja auch in Familienfotos weitere Informationen, die über die abgebildeten Personen hinausgehen: die getragene Kleidung, teilweise auch Uniform oder Tracht, Gebäude und Straßenzüge im Hintergrund oder anderes.
MAGmove: Und was geschieht mit den durchgefallenen Bildbeständen?
Christian Römmer: Bestände ohne Bezug zu unserem Sammlungsschwerpunktwerden an die Spender zurückgegeben oder vernichtet, je nach Absprache.
MAGmove: Und wenn meine Bilder grundsätzlich zu Ihrem Sammlungsprofil passen? Was passiert dann?
Christian Römmer: Wenn alles passt, werden die Fotos in unsere Sammlung aufgenommen. Sie werden hochaufgelöst digitalisiert, bekommen eine Signatur und werden in unsere Datenbank eingepflegt. Hier gilt es, alle verfügbaren Informationen zusammenzutragen: vom Urheber und der Herkunft über die Datierung, Lokalisierung und Bildbeschreibung bis hin zu den Nutzungsrechten.
MAGmove: Nehmen Sie immer den gesamten Bestand als „Gesamtwerk“ in Ihr Archiv auf oder sortieren Sie auch einzelne Bilder aus – und was geschieht mit den aussortierten?
Christian Römmer: Gerade bei Fotos kann es natürlich vorkommen, dass ein und dasselbe Motiv gleich ein Dutzend Mal aufgenommen wurde. Dann kann man durchaus eine Auswahl treffen – vor allem mit Blick auf die fotografische Qualität. Warum sollte man verwackelte oder unscharfe Fotos aufheben, wenn dasselbe Motiv auf der nächsten Aufnahme perfekt eingefangen ist? Ich habe auch neulich eine Reihe von schwarz-weißen Repros aus den 1980er-Jahren kassiert (vernichtet Anm. d. Red.), nachdem die Originaldias aus den 1950ern aufgetaucht sind.
MAGmove: Woher wissen Sie denn, welche Bilder in Zukunft interessant sein werden?
Christian Römmer: Das ist immer bis zu einem gewissen Grad eine subjektive Einschätzung. Der SchriftstellerMax Goldt hat schon bemerkt, dass irgendwann an den alten Urlaubsfotos nur noch die Reklameschilder, Papierkörbe oder Telefonzellen im Hintergrund interessant sind und nicht mehr die eigentlich fotografierte touristische Sehenswürdigkeit. Oft verschiebt sich das Interesse eben mit der Zeit. Aufgrund unseres Sammlungsschwerpunktes werden in jedem Fall alle Fotos archiviert, an denen sich die Veränderungen im Stadtbild ablesen lassen.
MAGmove: Herr Römmer, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Zur Person:
Christian Römmer (46), M.A., Geschäftsführer und Archivar des Kultur- & Geschichtskontors Bergedorf
Bewertung zahlt sich aus
Professionelle Archiv-Routinen lassen sich auf Ihr Unternehmensarchiv übertragen. Sichtung und Bewertung einlaufender Fotografien helfen Ihnen zu entscheiden, ob Sie Zeit auf deren Verwaltung verwenden sollten. Ihr Archiv ist schließlich keine Bilddeponie! Unser Tipp: Legen Sie ein klares Sammlungsprofil an, das Ihnen als Bewertungsmaßstab dient. Verständigen Sie sich intern ausdrücklich über Sinn und Zweck des Unternehmensbildarchivs und halten Sie Ihre Entscheidungen in einem Protokoll fest. Lautet ihr Auftrag „nur Presse- und Produktbilder“ können die Fotos vom Rohrbruch direkt beim Hausmeister zur Schadensabwicklung abgeben werden. Denken Sie auch über die erwünschten motivischen Schwerpunkte Ihres Bestandes nach. Befragen Sie dazu einfach Ihren Alltag: Welche Anfragen werden am häufigsten an Sie herangetragen? Wofür werden die meisten Bilder benötigt? Nutzerinteressen und Motivschwerpunkte sollten möglichst deckungsgleich sein.
Ausdünnung: Ihre individuelle Bilddiät
Ein klares Profil ermöglicht es Ihrem Unternehmensarchiv von einer weiteren archivarischen Praxis zu profitieren – von der Ausdünnung oder Selektion. Denn die Entscheidung, welche Bilder ins System eingepflegt werden, liegt bei Ihnen und nicht beim Bildproduzenten. Verordnen Sie Ihrem DAM-System daher unbedingt eine passende Bilddiät.
Das sei im Zeitalter digitaler Bildverwaltung nicht mehr erforderlich? Angesichts verschwindend geringer Speicherkosten und komfortabler Stapelverarbeitung schlügen Aufbewahrungs- und Erschließungskosten nicht zu Buche? Stattdessen sei der Ausdünnungsprozess selbst ein überflüssiger Kostenfaktor? Das ist zu kurz gedacht! Ein Beispiel: die 372 Porträts vomVorständeshooting. Dank Stapelverarbeitung und identischer Beschriftung – Urheber, Nutzungsrecht und Motiv stimmen ja überein – ist es tatsächlich einerlei, ob Sie zwei oder 372 Bilder beschriften. Aber für die späteren Nutzer des Archivs macht es einen Unterschied, ob sie sich aus 15 oder 20 ausgewählten Bildern das passende aussuchen können oder aus 372 „unbewerteten“ Bilder. Bei solchen Mengen und dem engen Zeitfenster, in dem solche Entscheidungen häufig getroffen werden müssen, wird die Wahl nämlich wirklich schnell zur Qual – und das bei jedem einzelnen Nutzer. Ihre Bilddiät präsentiert sich dem Nutzer als Qualitätsverdichtung. Die Folge: Der Rechercheaufwand sinkt, Zeit wird eingespart, die Nutzerzufriedenheit steigt. Das schlanke Archiv ist im Alltag überlegen, Ausdünnung ist Qualitätsmanagement für alle Nutzer.
Hopp oder top? – So wählen Sie richtig
Qualität und ästhetische Merkmale stehen bei der Selektion an oberster Stelle. Bilder mit geringer Bildschärfe, zu kleiner Auflösung, fehlerhafter Belichtung, unvorteilhaft aufgenommenem Motiv und ungünstiger Ausschnittwahl werden kassiert, also gelöscht. Gelöscht werden außerdem Dubletten, im Archiv verbleibt immer nur das Original. In motivischen Randgruppen löschen Sie grundsätzlich mehr. Wenn bei Ihnen PR-Aktionen zwar dokumentiert werden sollen, aber später kaum publiziert oder nachgefragt werden, dann sollten Sie unter den Messebildern aus dem Eingangsbeispiel ruhig großräumig löschen. Zwei Hände voll Aufnahmen reichen zur Dokumentation. Um Sie mal mit einer beruhigenden Zahl zu konfrontieren: In öffentlichen Bildarchiven landen oft über 50% der Motive im Schredder.1 Klar: die Angst vor der einen Anfrage nach dem einen gelöschten Bild ist groß. Auch wenn es unwahrscheinlich ist, kann niemand garantieren, dass das nicht geschieht. Der Wunsch dieses einen Nutzers wiegt aber nicht die Unzufriedenheit der vielen anderen Nutzer auf, die sich bei jeder Recherche durch hunderte Bilder annährend gleichen Motivs quälen müssen. Auch die Idee, eigentlich gelöschte Dateien heimlich auf anderen Speicherplätzen aufzubewahren, ist kontraproduktiv. Wir raten dringend davon ab. Guerilla-Strukturen schaden mehr als sie nützen und bringen ein stabiles System ins Wanken.
Fazit
Die Bewertung von neuen Fotoproduktionen ist wichtig und anspruchsvoll. Sie muss routiniert betrieben werden. Drehen Sie dabei die vertraute Sichtweise um: Stellen Sie beim Löschen gedanklich nicht den Verlust in den Vordergrund, sondern den Gewinn, der dem Archiv dadurch entsteht, dass seine Auswüchse im Rahmen gehalten werden. Sie betreiben damit Archivpflege. Wie beim gründlichen Aufräumen kommen die schönsten Dinge danach viel besser zur Geltung. Dokumentieren Sie Ihre Kriterien transparent. Das hat nämlich noch einen weiteren Vorteil: Es erlaubt Ihnen, diese Aufgaben jederzeit zu delegieren. An einen Kollegen oder einen kompetenten Dienstleister, der dann diese Aufgaben mit der gleichen Professionalität übernehmen kann, die Sie sich wünschen.
1. Vgl. z.B. Nora Mathys: Welche Fotografien sind erhaltenswert? Ein Diskussionsbeitrag zur Bewertung von Fotografennachlässen, in: Der Archivar 60.2007, H. 1, S. 34–40; Tanja Wolf (Stadtarchiv Worms): Fotos in Archiven: Bewertung und Kassation von Fotobeständen, Fotofachtagung Worms 2014.↩